Das hätte Stephan Brandner gar nicht gedacht: Laut einer Zählung der Zeitung „Welt“ ist der AfD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundessprecher der Alternative für Deutschland der am häufigsten beschimpfte Parlamentarier. Zumindest auf dem sozialen Netzwerk Twitter. Sage und schreibe 3634 Mal ist er in Tweets in der Zeit von Ende April vergangenen bis Mitte Februar dieses Jahres erwähnt und in irgendeiner Form beleidigt worden. Aber Brandner ist nicht beleidigt, sondern gibt sich pragmatisch: „Politik lebt von Wahrnehmbarkeit. Und wenn das schon in den Öffentlich-Rechtlichen nicht funktioniert, dann wenigstens auf den sozialen Netzwerken“, sagt er in der Reihe „AfD im Gespräch“ im Interview. „Wenn man wahrgenommen wird, dann kann man auch transportieren. Ich finde das alles andere als schlimm.“ Und tatsächlich wurde Brandner insgesamt auch am zweithäufigsten auf Twitter erwähnt. Vor ihm liegt nur noch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der es gegenüber Brandners „Beschimpfungsquote“ von 2,2 nur auf erstaunliche 1,4 Prozent bringt.
„Meinungsfreiheit geht für mich über alles“, bekennt der AfD-Politiker Brandner. Deshalb blockiere er auch kaum jemanden in den sozialen Netzwerken. Immerhin könne man bei Twitter aber Nutzer auf stumm schalten und so dringe das „erbärmliche Geseiere von immer den selben“ selten bis zu ihm durch. Dass die Meinungsfreiheit sowie viele weitere Grundrechte für die regierenden Parteien dagegen längst nicht mehr so unantastbar sind, hat sich in den vergangenen beiden Jahren gezeigt. „Was während Corona-Proteste aus Demonstrations- und Freiheitsrechten wurde, hätte ich mir nie vorstellen können“, berichtet Stephan Brandner, der selbst sehr oft mit den Menschen unterwegs war. Er kann aber genau analysieren, wie und warum es dazu kommen konnte. Zum heutigen Tag des Grundgesetzes erklärt er, in welcher Verfassung die deutsche Verfassung ist.
Das Grundgesetz selbst, welches seit mittlerweile 73 Jahren Bestand hat, wurde an sich nur sporadisch verändert und entspricht in weiten Teilen noch dem damaligen Wortlaut. „Es läuft subtiler, es wird mehr umgedeutet“, erklärt er. So sind die Regeln zum Beispiel zu Ehe und Familie noch die gleichen, doch arbeiteten die Altparteien emsig daran, die Bedeutung von Ehe und Familie zu ändern. Eine der wenigen tatsächlichen Änderungen im Gesetz, welche die Ampel anstrebt, ist die Aufnahme von Kinderrechten. Das klingt zwar zunächst gut, bedeute aber vielmehr einen Frontalangriff auf die Elternrechte. „Es ist wie eine Verstaatlichung der Kinder. Von Anfang an will man Zugriff haben und Dinge notfalls gegen die Eltern durchsetzen.“ Dabei gehe es nicht um die Kinder selbst, die ja dieselben Grundrechte wie alle genießen, sondern um eine ideologische Durchdringung. Und die sieht man dieser Tage überall – ob bei Fußballspielen oder beim Eurovision Song Contest, der ja ganz im Zeichen des Ukraine-Krieges stand – einschließlich der Kür des entsprechenden Gewinners.
Während auf der einen Seite also politische Themen überall Eingang in den Alltag finden, sinkt demgegenüber die Wahlbeteiligung rapide. Bei den letzten Landtagswahlen – sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfahlen – ging sie um jeweils zehn Prozent zurück. Brandner: „Es ist eine schlimme Entwicklung, aber jeder ist in seiner Entscheidung frei.“ Viele hätten sich von der Politik abgewandt, auch von der AfD. Ein wesentliches Problem sei, dass die Alternative für Deutschland von Medien nur dann wahrgenommen werde, wenn es in der Partei Streit gibt. „Wir werden bewusst geschnitten“, so Brandner. Er sei selbst kein Talkshow-Fan, aber mit einer solchen Sendung im öffentlichen Rundfunk erreicht man schon mal zwei Millionen Zuschauer. Und so bleiben zunächst vor allem eigene Formate. Und die sozialen Netzwerke. Wo der Ton gegenüber der AfD nicht minder rau ist. Aber wo es auch unwahrscheinlich viel Zustimmung gibt.