Wahl egal? Aufarbeitung der Berliner Chaoswahl dauert

Sitzen im Bundestag Abgeordnete, die gar nicht rechtmäßig gewählt wurden? Falls ja, bekommen sie mindestens eine Schonfrist: Die Aufarbeitung der Berliner Chaoswahl Ende September 2021 kommt nur langsam in die Gänge. Nachdem es jetzt erst einmal eine Anhörung im zuständigen Wahlausschuss des Bundestages gegeben hat, wurde eine endgültige Entscheidung für die Zeit nach der Sommerpause angekündigt. Noch besser läuft es für die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen, die an jenem Tage ebenfalls in der Hauptstadt gewählt wurden – oder zumindest seitdem drin sind. Der für deren Wahl zuständige Berliner Verfassungsgerichtshof wird erst im September die Verhandlung beginnen. Falls Neuwahlen kommen, dann frühestens in einem Jahr!

Am damaligen Wahlsonntag, dem 26.9.2021, war in den Berliner Wahllokalen ein beispielloses Durcheinander entstanden: Stimmzettel waren nicht verfügbar, vorübergehend wurden die zum Teil stark unterbesetzten Lokale geschlossen. Menschen mussten stundenlang warten, um ihre Kreuze zu machen, viele gingen wieder nach Hause. Zudem waren viele Wahllokale bis weit nach 18 Uhr geöffnet: Während im Fernsehen bereits die vorläufigen Endergebnisse analysiert wurden, konnte man in Berlin noch abstimmen. Bei der Bundestagswahl wählten auch Unter-18-Jährige und EU-Ausländer mit – die aber nur bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus hätten abstimmen dürfen. Und es gab ein kaum noch nachvollziehbares Hin- und Her mit mindestens 1.900 falsch gelieferten Stimmzetteln: Da in Friedrichshain-Kreuzberg Zettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf verteilt worden waren, wurden diese zunächst für ungültig erklärt. Dann wurden sie auf Anweisung aber doch wieder mitgezählt und mit Rotstift markiert.

Der Bundeswahlleiter hatte bereits im November Einspruch ob des heillosen Durcheinanders eingelegt. Immerhin könnten durchaus „mandatsrelevante“ Abweichungen entstanden sein. Sprich: In sechs von zwölf Berliner Bundestags-Wahlkreisen könnten die Ergebnisse ganz anders ausfallen, wenn man noch einmal genauer hinschaut. Und ganz andere Abgeordnete gewinnen. Die Folgen auf Landesebene wären umso verheerender. Und doch wird es noch dauern, bis Konsequenzen folgen. Wenn sie folgen. Bis dahin treffen vor allem in der Hauptstadt möglicherweise Volksvertreter Entscheidungen, die das gar nicht dürften.

Was deutschlandweit seinerzeit eher für Kopfschütteln gesorgt hatte als für Entrüstung, offenbart aber in Wirklichkeit, welchen Stellenwert demokratische Prinzipien in Deutschland überhaupt noch haben. Der Normalbürger hat äußerst wenig Möglichkeiten, das politische Geschehen direkt zu beeinflussen – und eine davon ist die Teilnahme an Wahlen. Ein hohes Gut also, das besonders geschützt gehört. Der Bundeswahlleiter kann im Falle von Abweichungen nicht viel mehr tun als zu beanstanden. Das kann übrigens jeder Bürger. Auch dessen Einsprüche muss dann der Wahlausschuss des Bundestages prüfen. 2115 Einsprüche sind es allein zur letzten Bundestagswahl, von denen 238 bis Ende März geprüft wurden. Nicht wenige bezogen sich auch auf das Berliner Chaos. Mit dem Ergebnis: Die Einsprüche wurden alle als unbegründet oder unzulässig zurückgewiesen.

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