Zu den Aussagen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, über die Motive der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung bemerkt der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag Gottfried Curio:
„Haldenwang wird mit der Einschätzung zitiert, die dort Protestierenden verbinde ‚die Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten‘. Und wörtlich: ‚Sie lehnen unser demokratisches Staatswesen grundlegend ab.‘ Zu dieser Einschätzung führt er aus, die Protestierenden ‚versuchten, den Eindruck zu vermitteln, der Staat versage und tue nichts für die Menschen‘.
Hier wird – unabhängig von jeder aktuellen Einschätzung zur Leistungsfähigkeit der Regierung – klar, dass eine Irreführung versucht wird über den Kurzschluss, Kritik an der konkreten Regierungsführung sei Kritik an der allgemeinen Struktur des Staates; nur für letztere wäre aber, im vorliegenden Zusammenhang, allenfalls der Verfassungsschutz zuständig.
Wenn Haldenwang weiter zitiert wird mit den Worten ‚Eine Intensivierung staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels könnte als unrechtmäßig empfunden und abgelehnt werden‘, so ist auch hier wiederum daran zu erinnern, dass ein etwaiges ‚als unrechtmäßig empfinden‘ bzw. ‚ablehnen‘ keinen Anlass für irgendeine Beurteilung vonseiten des Verfassungsschutzpräsidenten darstellt: die rechtliche Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht von gesetzlichen Neuregelungen, die eine Regierung mit ihrer Bundestagsmehrheit beschließen lässt, gehört zu den essentiellen Strukturelementen unserer demokratischen Gewaltenteilung; die Ablehnung von Regierungsvorhaben ist die Grundlage jeder Arbeit von Opposition. Der Bedeutung beider Kräfte – der Judikative wie der Legislative mit ihrer Opposition, die mit ihrer andersartigen Auffassung immer die Regierung von morgen sein kann – sollte sich auch eine weisungsgebundene Regierungsbehörde bewusst bleiben, zumal wenn sie sich als Schutzinstitution unserer Verfassung versteht.
Auch Haldenwangs Aussage ‚Demonstrationsteilnehmer sollten sehr sorgfältig prüfen, mit wem sie gemeinsam demonstrieren‘ offenbart einen unangemessenen Umgang mit dem Demonstrationsgrundrecht: Demonstrationsteilnehmer können mitnichten sorgfältig prüfen, mit wem sie gemeinsam demonstrieren – es genügt, dass sie sich in einer Veranstaltung befinden, die den von ihnen als wichtig empfundenen Zielen entspricht; keineswegs dringt da potentiell – wie von Haldenwang argumentiert – eine rechtsextreme Gruppe in die bürgerliche Mitte vor: selbstverständlich können beliebige Bürger friedlich an Demonstrationen für legitime Vorstellungen teilnehmen.
Demonstrationsteilnehmer haben sich auch nicht wechselseitig auf ihre ‚Gesinnung‘ hin zu kontrollieren; die von Haldenwang konstruierte Kontaktschuld soll allein den möglichen Meinungs- und Protest-Korridor verengen. Der Verfassungsschutz hat hier keine Noten zu vergeben – weder für Themen von friedlichen legitimen Demonstrationen noch für ihre Teilnehmer. Wie immer man zu den Demonstrationen steht: die Forderung nach einer neuen Staatsverfassung, nach einem Ende von Demokratie und Rechtsstaat sind offensichtlich nicht Triebfeder der Proteste. Diese Unterstellung selbst nur für eine Minderheit, verbunden mit der Suggestion einer Kontaktschuld der demonstrierenden Mehrheit, soll lediglich die Demonstrationen entwerten und die Demonstranten ausgrenzen.
Die schwammige neue Kategorie ‚verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘ soll zum Universalschlüssel zur Unterbindung von Regierungskritik werden. Dabei erscheint die Wortmeldung des Verfassungsschutzpräsidenten mehr als einseitig. Die Klimaproteste von ‚Fridays for Future‘ wurden nicht dem extremen Spektrum zugeordnet, als sich Rechtsbrecher etwa von ‚Extinction Rebellion‘ dazugesellten. Als der CDU-Ministerpräsident von Sachsen sein rechtswidriges Demonstrationsverbot für mehr als zehn Personen erließ, hörte man wenig vom CDU-Mitglieder Haldenwang.
Wenn dieselbe Regierung, deren Mitglieder vor der Bundestagswahl eine Impfpflicht ablehnten, eine solche jetzt mit ihrer – unter diesbezüglich falschen Voraussetzungen gewonnenen – Mehrheit durchdrücken will, darf der demonstrierende Bürger die Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs mit guten Gründen bezweifeln. Der Verfassungsschutz unter Haldenwang aber versucht den Protest gegen das undemokratische Quasi-Demonstrations- und -versammlungsverbot selbst als Beweis undemokratischer Gesinnung anzuführen. Damit stellt er den Demokratiebegriff auf den Kopf und will staatliche Weisungen als alleinigen Ausdruck von Demokratie erklären, Meinungsäußerungen von Bürgern dagegen aber als undemokratisch.
Haldenwang beweist mit seinen jüngsten Unterstellungen einmal mehr, dass er den Auftrag zum Verfassungsschutz nur allzu gerne als Auftrag zum Regierungsschutz verstehen möchte. Dass die – im Gegensatz zur vermeintlichen politischen Unabhängigkeit – tatsächlich gegebene politische Weisungsgebundenheit der Verfassungsschutzbehörde immer wieder als Anlass zu vorauseilender politischer Unterwürfigkeit missverstanden wird, insbesondere nach Wechsel der parteipolitischen Führung im Innenministerium, gehört zu den reformbedürftigen Fehljustierungen innerhalb der politischen Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem internationalem Unikum ‚Verfassungsschutz‘.“