Die Rede als Alterpräsident konnte nicht gehalten werden, weil der Bundestag im Sommer 2017 seine Geschäftsordnung bzgl. Alterspräsident geändert hatte.
Wenn ich sie als Kollegen anrede, dann hat das nicht nur damit zu tun, dass wir zukünftig gemeinsam diesem Hohen Hause angehören. Es bringt auch zum Ausdruck, dass ich auf eine parlamentarische Erfahrung zurückblicken darf, die wohl langer währt als die der meisten Mitglieder dieses Hauses: Fast ein halbes Jahrhundert Kommunalpolitik auf sämtlichen Ebenen und in demokratischer Pflichterfüllung erlauben mir ein Wort aus gereifter Erkenntnis. Wir kommen heute als gewählte Vertreter unseres Volkes zusammen.
Daraus ergibt sich ein gemeinsames Band, das stärker ist als die naturgemäß widerstreitenden Ziele der Parteien. Denn wir stellen nicht nur die Zahl, die über die Stärke der Fraktionen entscheidet. Durch unsere Wahl sind wir dem Souverän verpflichtet und dem, was ihn bewegt.
Das sind die Schlüsselthemen. Eines davon ist der Umgang mit Migration. Das Phänomen ist ja nicht neu. So war die Ansiedlung von Menschen stets ein Grundanliegen der Herrscher Brandenburg-Preußens. Ihr Bestreben war es, das Land fortzuentwickeln. Hugenotten, Salzburger und die Vielen, die dem Ruf des aufgeklärten Preußen folgten, haben das in segensreicher Weise getan. Sie haben die Erfahrung bestätigt: Wenn ich andere Eliten gewinne, kann ich meine Eliten halten. Ich habe dieses Beispiel bewusst gewählt. Ich bin Ostpreuße. In gewisser Weise verbindet uns auch dies. Es durfte nämlich nicht allzu viele in diesem Haus geben, die nicht über Familienmitglieder verfügen, die nach dem Verlust ihrer Heimat im damals östlichen Deutschland und in den weiten anderen Siedlungsgebieten der Deutschen im Osten nach dem Krieg Aufnahme im eigenen Volk gefunden haben. Wir alle, und ich schließe unsere Abgeordneten mit ausländischen Wurzeln ein, stehen in Traditionen der Herkunft, deren Bestes einzubringen wir zum Wohle des Ganzen im Sinne unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung aufgerufen sind.
Unseren Weg mögen politische Erfolge und Niederlagen begleiten, Ehre gewinnt man selbst. Durch gegenseitige Achtung, durch Wahrhaftigkeit und durch die Erfüllung der Maxime des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. Es ist schlicht das, was die Bürger von uns erwarten. Gerade angesichts mancher hohen Wechselfolge von politischen Erregungen, gerechtfertigten wie bei näherem Hinsehen überzogenen, wo erwiesene Experten, aber auch solche ohne dieses Prädikat gleichermaßen und allgegenwärtig Gehör finden, sollten klärend besonnene Stimmen aus diesem Haus unüberhörbar sein. Vermeiden wir das lärmende Wort. Dahinter steht oft eine Geringschätzung unserer Bürger, die ein verlässliches Gespür dafür haben, was glaubwürdig ist.
Dieses Parlament verfügt über genügend Persönlichkeiten, deren Auftreten geeignet wäre, das Profil ihrer Parteien samt deren innerer Vielfalt unverwechselbar zu machen. Diese Reserven sind gewiss nicht ausgeschöpft. Überhaupt tun wir alles, um diesem Haus den ihm gebührenden Respekt zu sichern und zu mehren. Ein Parlament, das wiederholt folgenschweren politischen Alleingängen folgt, ohne rechtzeitig und im Spektrum der Meinungen damit befasst gewesen zu sein, untergräbt seine Würde. Es läuft
aber auch Gefahr, wichtige Stimmen des Volkes zu überhören und sie am Ende zu verlieren.
Dass nationale Wahlen europäische Beachtung finden, zeigt uns, wie eng Europa zusammengerückt ist. Unser Kontinent wird immer ein Primärraum der Weltkultur sein. Seine Kultur offenbart sich als Leistungsmosaik aus Wirtschaft und Wissenschaft, aus sozialer Organisation und religiöser Überlieferung, aus Philosophie und Kunst. Sie besteht aber auch aus dem lebendigen Wissen um die Kraft der Geschichte. Dies im Sinn, erschließt sich Europas Chance in der Besinnung auf die Eigenart und auf die vernünftige Selbstorganisation seiner Völker innerhalb unseres geschaffenen Verbunds. Schützen wir Europa vor ungerechtfertigten Angriffen! Bewahren wir es vor überzogenen Reglementierungen und nicht zuletzt vor Beugungen des Rechts. Jeder weiß, dass aus manchen Überschreitungen langfristig bedenklichere Lagen entstanden sind als die Krisen, die man glaubte, damit abzuwenden zu können. Europa leben heißt Europa bauen.
Dieses Werk ist nicht fertig, und stets aufs Neue sehen wir uns vor Entscheidungen gestellt, die Umsicht und Weitblick erfordern. Nicht anders verhält es sich im eigenen Land. Nehmen wir unsere Herausforderungen beherzt an! Lösen wir uns von der Bequemlichkeit vorgefasster Urteile. Schlagworte zerschlagen einzig das Denken. Distanzieren wir uns von allen Versuchen öffentlicher Bevormundung. Sie führt zu innerer Auflehnung und beeinträchtigt das entschiedene Einstehen für unsere Ordnung. Wir sind aber verpflichtet, dieses Fundament dauerhaft zu sichern.
Daher gestatten Sie mir als dem ältesten Mitglied dieses Hauses zum Schluss diesen Appell: Dieses Parlament darf sich zu keinen politischen Schritten bereitfinden, so sehr sie auch interessenbedingten Beifall finden mögen, die erkennbar zu Lasten der nachrückenden Generationen gehen. Die größte Katastrophe für dieses Land wäre die Abwanderung des leistungsfähigsten Teils unserer Jugend, sollte sie irgendwann zu dem Schluss kommen, sich woanders freier, nicht überfordert und ohne innerstaatliche Schieflagen entfalten zu können.
Es liegt in unserer Hand, die richtigen Weichen zu stellen. Gelingt uns das, dürfen wir zuversichtlich sein.
Ich danke Ihnen.
Wilhelm von Gottberg
AfD-Abgeordneter und ältestes Mitglied im 19. Deutschen Bundestag
https://www.afd.de/bundestag/