Wenn es nach den Journalisten in der Bundesrepublik geht, dann scheint es nur noch eine Formalie zu sein, dass die Grünen nach der Bundestagswahl im Herbst die Regierung stellen oder möglicherweise gar ins Kanzleramt einziehen. Doch die Öko-Partei, die sich nach einem Anflug von Größenwahn wieder auf dem verdienten Weg nach unten befindet, versinkt derzeit in einem immer giftiger werdenden Richtungsstreit: Hippies mobben Realos, Corona-Fanatiker zoffen sich mit Corona-Skeptikern – und dann auch noch ein Atombomben-Streit.
Exemplarisch zeigt sich die Spaltung am Konflikt um den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der den bürgerlichen Realo-Flügel anführt. Palmers Parteikollege und Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, geht jetzt auf Palmer los und stellt ihn als „selbsternannten“ Virologen dar, weil Palmer Kritik an einzelnen Corona-Maßnahmen zu äußern wagte. Andere Parteifreunde werfen ihm „Rassismus“ vor und wollen ihn am Liebsten aus der Partei schmeißen. Dass Palmer die grenzenlose Asyl-Begeisterung seiner Partei nicht teilt, macht ihm zum Feindbild von radikalen Hippies, die jeden Abweichler in der Partei mobben und ausgrenzen.
Mitten in dieser Situation provoziert auch noch die Vorsitzende der parteinahen Böll-Stiftung mit einem Aufruf zu massiver Aufrüstung und „nuklearer Teilhabe“, der bei Pazifisten in der Partei nicht gut ankommt. Die Bundestags-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt ist ohnehin schon seit Langem der Auffassung, dass die Grünen „noch nie eine pazifistische Partei“ gewesen seien. Indessen protestiert der linke Parteiflügel gegen die mögliche Aufstellung eines Kanzlerkandidaten und poltert in diesem Zusammenhang über „Personenkult“. Wenn es nach der Bundestagswahl tatsächlich zur Liebesheirat zwischen der Merkel-CDU und den Grünen kommen sollte, dann wird es die Vermählung von Streit und Spaltung sein.