Die Gedanken sind frei – das populäre Volkslied begleitet die Deutschen seit über 200 Jahren. Es gibt uns Mut und hilft Einheit zu stiften, besonders in schweren Zeiten der politischen Repressionen.
Redefreiheit ist ein hohes Gut, das hart erkämpft wurde. Das Grundgesetz garantiert: „Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ (Artikel 5 Grundgesetz). Dieses Grundrecht gerät zunehmend unter Druck. Ob durch undurchsichtige Überwachungsalgorithmen oder selbsternannte Tugendwächter – die freie Meinungsäußerung von Wissenschaftlern, Künstlern und Bürgern ist bedroht. Jeder noch so kleine Verstoß gegen die vermeintliche „politische Korrektheit“ wird erbarmungslos geahndet.
Offene Debatten finden faktisch nicht mehr statt. Die systematische Ausgrenzung alternativer Standpunkte lässt sich unter dem Begriff „Cancel Culture“ zusammenfassen. In politischen Debatten, in Medien, im Kulturbetrieb greift das Phänomen zunehmend um sich und zerstört Existenzen.
Auch vor der Wissenschaft macht die „Cancel Culture“ nicht Halt. Dabei waren gerade die Universitäten immer ein Ort, an dem eine offene Streitkultur gepflegt wurde – denn nur so funktioniert Wissenschaft. Darauf bestehen auch international renommierte Forscher, die sich im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zusammengeschlossen haben.
„Wenn Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft aus Furcht vor den sozialen und beruflichen Kosten Forschungsfragen meiden oder sich Debatten entziehen, erodieren die Voraussetzungen von freier Wissenschaft. Eine solche Entwicklung wirkt sich negativ auf die Leistungsfähigkeit der Hochschulen und damit auf den Wissenschaftsstandort Deutschland und seine internationale Reputation aus.“[1]
In erschreckendem Ausmaß hat sich die politische Instrumentalisierung der Wissenschaft bei der Durchsetzung der Corona-Zwangsmaßnahmen gezeigt. Wie inzwischen bekannt wurde, hat das Bundesinnenministerium schon im März 2020 aktiv in das Strategiepapier der RKI-Wissenschaftler eingegriffen, um eine möglichst große „Schockwirkung“ zu erzielen und den „Einsatz von Big Data und Location Tracking“ zu rechtfertigen, um somit harte Corona-Maßnahmen durchzupeitschen.[2] Ergebnisoffene und unabhängige Gutachten waren offenbar nicht gewünscht. Auf diese Weise geht auch das Vertrauen in die Wissenschaft verloren. Dabei ist es im weiteren Kreis der Wissenschaftler höchst umstritten, inwiefern Radikalmaßnahmen wie Lockdowns die dadurch verursachten Schäden aufwiegen können – das betont der renommierte Wissenschaftsethiker Prof. Dr. Michael Esfeld. Als Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina stellt er sich der einseitigen Vereinnahmung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Diskreditierung abweichender Positionen durch die Bundesregierung deutlich entgegen. In seinem Protestschreiben an die Leitung der Akademie hebt er hervor:
„Ethisch gibt es insbesondere in der auf Immanuel Kant zurückgehenden Tradition Gründe, grundlegende Freiheitsrechte und die Würde des Menschen auch in der gegenwärtigen Situation für unantastbar zu halten. Zur Würde des Menschen gehört dabei insbesondere die Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, was die jeweilige Person als ein für sie würdiges Leben erachtet und welche Risiken sie für diesen Lebensinhalt einzugehen bereit ist in der Gestaltung ihrer sozialen Kontakte.“[3]
Seine Kritik an der Politisierung der Wissenschaft hat Esfeld mit seinem Kollegen Christoph Lütge im gemeinsamen Buch „Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen“ (2021) niedergelegt. Lütge wurde daraufhin vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder aus dessen Ethikrat verbannt. So funktioniert Cancel Culture. Die Gedanken sind frei, aber ist es die Wissenschaft noch?
[1] URL: https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ueber-uns/manifest/
[1] URL: https://www.cicero.de/innenpolitik/wissenschaft-politik-corona-drosten-kerber-spahn
[1] URL: https://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=12167