Offener Brief an die Medienvertreter zum Leipziger Messerattentat

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Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Medienvertreter,

Was, wenn es anders herum gewesen wäre?

Einfach so wird eine Frau auf offener Straße in meiner Heimatstadt angegriffen. Ein Libyer sticht mit einem Küchenmesser auf sie ein. Ihre Verletzungen sind schwer, sie muss ins Krankenhaus. Zuhause warten derweil vielleicht ein sich sorgender Ehemann, Kinder. Doch die Meldung darüber taucht in den Online-Ausgaben Ihrer Zeitungen bislang nur am Rande auf: Bei „Spiegel Online“ läuft die Tat unter „Panorama“, die „FAZ“ meldet ebenso wie die „Welt“ und „Süddeutsche Zeitung“ auf der Hauptseite überhaupt nicht. „Tag 24“ und „Bild“ erwähnen das Verbrechen nur kurz am Rande, ebenso der Auftritt der „Sächsischen Zeitung“.

Neben den körperlichen und seelischen Folgen dürfte dem Opfer mindestens ebenso stark das Schweigen, das Wegducken, das Bagatellisieren der Medien schmerzen. Ein ungeheuerlicher Vorgang taucht inzwischen nur noch am Rande auf, irgendwo unter Meldungen aus dem Kaninchenzüchterverein und Schminktipps. Offensichtlich ist Ihnen wichtiger, welche Kuh die schönste Deutschlands ist, wie Real Madrid gegen Manchester United antritt. Die Widerlichkeit aus Leipzig verschwindet unter Nichtigkeiten, Sie behandeln es als Petitesse. Kann ja mal passieren, ist nichts Besonderes, tut nicht weh, leben wir doch damit.

Nein, verdammt noch mal, wir wollen nicht damit leben! Wir wollen vor allem nicht akzeptieren, dass Taten wie diese einfach so unter den Tisch fallen. Inzwischen werden unsere Mitmenschen von anderen verletzt oder getötet – siehe Hamburg, siehe Ansbach, siehe Berlin. Jeder kann nun Opfer werden, Sie, ich, Ihre, meine Eltern, Kinder, Freunde, Verwandte. Die Zeit zwischen den Einschlägen wird kürzer, gerade erst war Hamburg, nun Leipzig. Morgen vielleicht Bochum, übermorgen Riesa. Aber es ist eben nicht dasselbe, wie im Haushalt von der Leiter zu fallen oder im Auto zu verunglücken. Denn dort gehe ich, gehen wir das Risiko freiwillig ein. Wir wissen, es kann etwas passieren. Bei all den Verbrechen, die nun seit 2015 auf uns einstürmen, wurden wir gezwungen, das Risiko einzugehen. Niemand kann sich dagegen wehren. Es ist, als bekäme man ein Bungee-Seil um die Hüften geschnallt, das schon ein bisschen eingerissen ist, und man dann springen soll. Keiner würde sich auf diesen Wahnsinn einlassen. Auf den, der vor unserer Haustür mit immer neuen Taten wütet, müssen wir.

Uns, die Bürger Deutschlands, regt auf, dass es im umgekehrten Fall eine tagelange, alles überstrahlende Nachrichtenflut gegeben hätte. Ja, auch wenn der Passus ausgelutscht erscheint: Bei einem deutschen Tatverdächtigen wäre das nicht passiert. Hätte ein Einheimischer einen Libyer erdolcht – die Zeitungen wären mit Recht empört, verbunden mit vielerlei Vorverurteilung. Niemals aber würden Sie die Motivation des Täters in Frage stellen. Es wäre ein Ausländerfeind, ein Mörder, ein Verbrecher. Punkt. Die gleiche Konsequenz, die gleiche Wichtigkeit sollte auch dann gelten, wenn Menschenfeinde aus dem Ausland verletzen, morden.

Vielleicht wollen einige von Ihnen weiter bis zum Sankt Nimmerleinstag leugnen, ausblenden, relativieren, verharmlosen. Es ist Ihre Zeitung, es sind Ihre Leser, Ihre Entscheidung. Aber es bleibt dennoch Fakt und es wird immer so weitergehen – bis die Menschen eines Tages die Geduld verlieren.